Sichere Narkose bei älteren Patienten

Mit zunehmendem Alter stellen Patienten in der Narkosesprechstunde unserer Clinic ähnliche Fragen. Sie haben verstärkt Sorge vor einem operativen Eingriff in Bezug auf die Anästhesie. Dabei fallen Begriffe wie das Durchgangssyndrom. Die Anästhesisten der Hessingpark-Clinic geben ihren Patienten und Angehörigen einfache Tipps, um die Narkose gut zu vertragen.

Nach größeren Operationen kann es in der Tat vorkommen, dass vor allem ältere Patienten verändert oder unruhig aus der Narkose aufwachen, landläufig als Durchgangsyndrom oder als postoperatives Delir bekannt. Das Risiko dafür ist abhängig vom operativen Eingriff (Art, Länge, Blutverlust), weiteren Faktoren wie Alter, Vorerkrankungen (etwa Depressionen und dementielle Erkrankungen) sowie Alkohol- und Medikamentengebrauch. Ein postoperatives Delir muss umgehend behandelt werden, damit sich die Heilungschancen nicht verschlechtern bzw. ein anhaltendes kognitives Defizit vermieden wird.

Durchgangssyndrom: Entstehung und Symptome

Die Entstehung eines Delirs – der Zustand akuter Verwirrtheit – ist noch nicht bis ins Detail erforscht. Bekannt ist, dass eine Dysbalance der Botenstoffe im Zentralen Nervensystem ursächlich ist. Auch eine entzündliche Reaktion des Körpers, wie beispielsweise eine sogenannte postoperative Inflammation, kann ein solches Ungleichgewicht hervorrufen. Die Symptome des Durchgangssyndroms treten relativ schnell und vor allem nachts auf. Sie  können wenige Stunden bis zu einigen Tagen andauern. Der Verlauf kann unterschiedlich sein und sich in Phasen mit deutlicher Symptomatik und Phasen von völliger geistiger Klarheit aufgliedern, wobei das Delir meist in der ersten Woche wieder folgenlos abklingt. Leider lässt sich nicht sicher voraussagen, welche Patienten tatsächlich ein Delir bekommen bzw. wie lange die Symptomatik anhält. Ein erhöhtes Risiko besteht jedoch für diejenigen, die sich durch die bevorstehende Operation auf Grund der ungewohnten Umgebung, der fremden Menschen und der verschiedenen Untersuchungen besonders gestresst fühlen.

Trotz der Risiken besteht für ältere Patienten kein Grund, sich nicht operieren zu lassen, um die eigene Lebensqualität bei Schmerzsymptomatik oder massiver Bewegungseinschränkung wieder zu verbessern. Denn gerade planbare Operationen bringen ein deutlich geringeres Delirrisiko mit sich, da es gute Präventionsmöglichkeiten gibt. Auch der Patient selbst kann sich auf den Eingriff vorbereiten und zur Vermeidung eines Delirs beitragen.
 

 

Maßnahmen vor der Operation

  • Bitte erscheinen Sie mit Ihrem vollständigem und aktuellem Medikamentenplan und mit möglichst aktuellen Befunden zu Ihren Vorerkrankungen im Narkosevorgespräch.
  • Sprechen Sie Ihre Ängste und Sorgen vor Operation und Narkose sowohl beim Operateur als auch beim Anästhesisten deutlich an.
  • Seien Sie ehrlich, gerade wenn es im Vorfeld schon einmal zu Verwirrungszuständen gekommen ist. Fragen Sie sich und Ihre Angehörigen, ob Sie ein Nachlassen Ihrer kognitiven Fähigkeiten in der kürzeren Vergangenheit bemerkt haben.
  • Sprechen Sie über Schlafstörungen, Alkohol-, Nikotin- und Medikamentengebrauch.
  • Äußern Sie Bedürfnisse und Wünsche, die Ihr Wohlbefinden nach der Operation steigern könnten (bspw. keine Infusionsnadel in der Ellenbeuge, favorisiertes Narkoseverfahren, erhöhtes Wärmebedürfnis, zusätzliche Kissen und Decken etc). Wir versuchen im sicheren Rahmen den gesamten Aufenthalt so angenehm wie möglich für Sie zu gestalten.
  • Fragen Sie ungehemmt nach, wenn Sie exaktere Details über Operations-und Anästhesietechniken wissen wollen.
  • Versuchen Sie sowohl Ihre geistige als auch Ihre körperliche Fitness in Rahmen der Möglichkeiten präoperativ zu steigern. Beides hilft Ihnen die bevorstehende Operation besser zu bewältigen.
  • Bereiten Sie Ihre Kliniktasche gut vor: Brille, Hörgerät, Prothese, große Uhren und Tageskalender helfen Ihnen sofort postoperativ sich zu orientieren. Fotos von Zuhause und Familie, Ihre Lieblingsmusik und Zeitungen und Bücher, steigern Ihr Wohlbefinden.
     

Maßnahmen am Operationstag

  • Keine zu lange Nüchternheit: Sie dürfen bis 2 Stunden vor der Operation klare Flüssigkeiten trinken und bitte auch Ihre Hausmedikation so einnehmen, wie mit dem Narkosearzt besprochen.
  • Klassische Beruhigungs- und Schlafmittel werden vor der OP nicht mehr gegeben, da sie ebenfalls ein Delir begünstigen können. Bei besonders aufgeregten Patienten werden Alternativen eingesetzt. Wir setzen zudem auf intensive individuelle Betreuung und nutzen Methoden wie Akupunktur und naturheilkundliche Medikamente wie Baldrian.
  • Anwendung des passenden Narkoseverfahrens, Verwendung kurzwirksamer Medikamente und Regionalanästhesie: diese Punkte werden individuell auf Sie abgestimmt und helfen Ihnen fit aus der Operation zu erwachen
  • Narkosetiefemessung bei Vollnarkosen mittels EEG bzw. BIS-Monitoring: Zu tiefe Vollnarkosen können ebenfalls prodelirant wirken und werden mittels der Narkosetiefemessung vermieden.
  • Adäquate intraoperative Flüssigkeitszufuhr und Kreislaufstabilisation
  • Wärmeerhalt während der Operation
  • Blutsparende Techniken und maschinelle Autotransfusion: Ihr eigenes Blut wird während der Operation aufgefangen, gewaschen und wird Ihnen wieder aufbereitet im Aufwachraum zurückgegeben.
  • Reduktion der Anästhesie-Dauer
  • Frühzeitiger Beginn der postoperative Schmerztherapie: Im besten Fall mittels sogenannter Schmerzkatheter, die schon intraoperativ die Dosis an starken Schmerzmitteln reduzieren. Starke Schmerzmittel, sog. Opiate, können ein schnelles Erwachen ebenfalls verzögern
  • Frühe Mobilisation: schon im Aufwachraum, direkt nach der Narkose, bekommen Sie eine erste Physiotherapeutische Behandlung
  • Frühe Verfügbarkeit von Seh- und Hörhilfen: Sobald Sie wach sind, erhalten Sie Ihre Brille und Ihre Hörgeräte zur besseren Orientierung
  • Frühzeitiges Trinken sowie ein Wassereis: auch diese Maßnahmen fördern die schnelle Erholung aus der Narkose und vermindern postoperative Übelkeit.
     

Maßnahmen für den stationären Aufenthalt

  • Wenn Sie sich nach der Operation komisch fühlen, starke Schmerzen oder Gedächtnislücken haben, sprechen Sie bitte ohne Scham sofort die behandelnden Pflegekräfte und Ärzte an. Auch bedrohliche Gedanken, seltsame Träume oder merkwürdige Halluzinationen können im Fall eines Delirs postoperativ auftreten. Je eher dieses erkannt wird, desto schneller können wir dem therapeutisch entgegenwirken. Sie befinden sich bei uns in vertrauensvoller Umgebung und werden in der Situation nicht alleine gelassen.
  • Wir möchten Ihre Angehörige und Freunde gerne aktiv miteinbinden und begrüßen regelmäßige Besuche im Rahmen der aktuellen Besucherregelungen. Gerade wenn Ihren Angehörigen Veränderungen an Ihnen auffallen, bitten wir diese, uns das schnellstmöglich mitzuteilen.
  • Wir versuchen mit Ihnen Ihren Tag zu strukturieren: Versuchen Sie mit Hilfe unserer Physiotherapie rasch in Bewegung und wenn möglich auch an die frische Luft zu kommen. Im Tagesverlauf erwarten Sie auch andere Anwendungen wie beispielsweise die Lymphdrainage und weitere postoperative Untersuchungen. Fokussieren Sie sich eher auf Zeitschriften, Bücher, Telefonate und Besuche als auf Fernsehen oder Handy. Gespräche mit Angehörigen und Freunden fördern ebenfalls die Leistung Ihres Gehirns!
  • Der normale Schlaf-Wach-Rhythmus ist ebenfalls wichtig, um ein Durchgangssyndrom zu vermeiden. Licht und Arbeits-und Alarmgeräusche werden in den Abend und Nachtstunden gedämmt, um Ihnen das nächtliche Durchschlafen zu ermöglichen. Versuchen Sie untertags nicht zu viel zu schlafen, um Ihre Nachtruhe sicherzustellen. Eine optimale Schmerztherapie mit dem größtmöglichen Verzicht auf Opiate, hilft Ihnen ebenfalls die postoperativen Schmerzen zu ertragen, ohne durch die Opiatwirkung zu müde zu werden. Dabei hat sich die regionale Schmerztherapie ebenfalls besonders bewährt.
  • Nutzen Sie Orientierungshilfen wie große Tageskalender, Uhren und Familienfotos
  • Versuchen Sie viel zu trinken und auch wenn Sie sich vor dem Toilettengang oder der Bettpfanne scheuen. Die ausreichende Flüssigkeitszufuhr begünstigt ebenfalls Ihre kognitiven Leistungen. 
  • Äußern Sie Ihr Unwohlsein (“Bettnachbar schnarcht“, „Verband ist zu eng“, „Rückenschmerzen durch das Liegen“), so dass mögliche Stressoren für Sie schnellstmöglich behoben werden können.
     

Tipps für die Angehörigen

  • Sie als Angehöriger sind für unsere älteren Patienten die Verbindung zur normalen Welt.
  • Ihr Besuch wirkt beruhigend: Lieblingsmusik, Lieblingsspeisen, Zeitschriften, Quizspiele und Fotos werden sehr begrüßt und helfen unseren Patienten sich gut zurecht zu finden.
  • Versuchen Sie immer ruhig mit Ihren Angehörigen zu reden und beruhigend auf sie einzuwirken.
  • Im tatsächlichen Falle eines postoperativen Delirs nehmen Sie beleidigende und wirre Äußerungen nicht persönlich.
  • Helfen Sie unserem Patienten sich zu orientieren: immer wieder die Situation, die Örtlichkeit und Datum und Uhrzeit zu nennen, gibt den Patienten den notwendigen Halt.
  • Lassen Sie sich nicht aus der Ruhe bringen und denken Sie daran, dass es sich in den allermeisten Fällen um ein vorübergehendes Krankheitsbild ohne Folgen handelt.
  • Wenn Sie durch die Symptomatik Ihres Angehörigen verunsichert sind und sich Fragen ergeben, sprechen Sie uns bitte an, damit wir Sie entsprechend beraten können.